Warum ich mein Land nicht liebe

Nationaler Taumel. Schwarzrotgoldene Schminke. Hupkonzerte. Fanmeilen. Schland. Über all dies ließe sich nun, nach einem fraglos historischen Sieg wie dem 7:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen desolate Brasilianer schreiben. Antizyklisch natürlich, kritisch, hinterfragend wohl auch. Viele haben es vorgemacht. Viele haben schon vor Beginn des Turniers ihre Abneigung gegen derlei Dinge verkündet, in jedes verfügbare Schaufenster gestellt, verbreitet und sicher noch gefestigt. Das halte ich für völlig legitim. Und ich teile diese Abneigung. Ich teile sie nicht bloß wegen meiner emotionalen wie rationalen Distanz zu nationalen Symbolen, zu dem, wofür sie stehen zumal. Denn bei einem solchen Turnier wird das nationale Symbol transformiert zum Ausweis des Ahnungslosen, zum Erkennungszeichen desjenigen, dem jede Erkenntnis fehlt.

Ich habe nichts gegen Menschen, die nichts wissen. Im Gegenteil. Wenn alle fragen würden, anstatt zu wissen, wäre die Welt wohl ein weitaus angenehmerer Ort. Ich habe etwas gegen Menschen, die nichts wissen wollen. Ich habe etwas gegen den Tunnelblick. Ich habe etwas gegen die Herde. Dem Hirten hingegen kann ich es noch nicht einmal sonderlich übel nehmen, dass er seinen Job macht. Mag er nun FIFA heißen oder Bundesregierung, Deutschland oder DFB. Ich verstehe vollkommen, dass eine WM eine Bühne ist, auf der sich jeder, aber auch wirklich jeder, im Lichte grenzenloser Bewunderung und Anerkennung sonnen darf. Und praktischerweise kann man schnell verschwinden, wenn es mal nicht so läuft.

Mancher würde dagegen lieber verschwinden, wenn es mal läuft. Wohin diese Herde will, woher sie kommt, ich weiß es nicht. Sie trampelt das von mir so geliebte Spiel nieder, ihr Geblöke als Leidenschaft verkaufend, den Weg zur Schlachtbank als Weg eines „richtigen Fans“. Sie wissen nicht, was sie tun und warum.

Wie viele Millionen Menschen, denen dieser Sport etwas bedeutet, saß ich fassungslos dabei, als wieder einmal eine deutsche Mannschaft für eine tiefe Zäsur in allem, dessen man sich sicher zu sein glaubte, sorgte. So wie vor zwei Jahren der FC Bayern und Borussia Dortmund. Damals bereits sollte die Welt oder wenigstens Europa am deutschen Wesen genesen. Jeder war plötzlich rot oder gelb und sowieso deutsch. Eine Fanmeile in Berlin, Public Viewings allerorten. Die Schickeria München brachte es damals auf den Punkt, erlöste mich von meiner Befürchtung, es sei nunmehr wirklich jeder Schaf. Ihr Transparent trug die Botschaft „Alle reden vom deutschen Finale – wir nicht. Wir kommen aus München, wir sind die Bayern, scheiß BVB!“. Das war so erfrischend. Nicht schön, mag sein, aber wenigstens ehrlich. Geradezu lyrisch inmitten nationaler Prosa.

Natürlich kann man nun vergleichen. Man kann fragen, ob das Unterstützen eines Vereins nicht dem selben Grundmodell folgt wie jener Fußballpatriotismus, der das Land gerade in seinen kruppstahlharten Armen hält. Ob nicht gerade der Grundzustand jedes echten Fans sei, blind zu folgen, so wie der Verliebte.

Man kann das tun, aber dann hat man keine Ahnung. Weder vom Fußball, noch von der Liebe. „Der Grundzustand des Fußballfans ist bittere Enttäuschung, egal wie es steht“, so schrieb es Nick Hornby. Ich teile das nicht völlig. Den Grundzustand des Fußballfans halte ich wie den Grundzustand des Liebenden für etwas, das eigentlich niemandem richtig zugänglich ist. Für ein Schweben in anderen Sphären, für eine Entrücktheit. Eine völlige Fokussierung auf Dinge, die nie ein anderer so verstehen wird wie er selbst. Mögen es auch scheinbare Kleinigkeiten sein. Im Fußball, wie in der Liebe, bedeuten sie manchmal die Welt.

Die schwarzrotgeile Schlandherde der Ahnungslosen hat keinen Blick für die kleinen Dinge, sie verschwinden unter dem Marschschritt ihrer gen Finale stampfenden Stiefel. Ihr Grundzustand, er ist Ignoranz.

Und Ignoranz, nicht Hass, ist das wahre Gegenteil von Liebe. /juli